Die Koalitionsvereinbarungen zum BVWP von 1998 und 2002 sehen vor, „die Ergebnisse aus Nutzen-Kostenverhältnis, Umweltrisikoeinschätzung und Raumwirksamkeitsanalyse sowie Finanzierbarkeit... abzuwägen.“ Auf diese Punkte werden wir unten eingehen.
Für den BVWP 2002 wurde ein modernisiertes und ergänztes Bewertungsverfahren entwickelt. Es „erfasst... alle Wirkungsbereiche, die einen nennenswerten Einfluss auf das Bewertungsergebnis haben könnten.“
„Für die Einteilung der Projekte in die Dringlichkeitsstufen... ist die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit die Grundlage, über die das NKV Aufschluss gibt. (Beschluss der Bundesregierung zum BVWP)
Nutzen-Kostenverhältnis
Das NKV der B 308 liegt bei 2,4, während es bei fast 70% der Projekte über 3 liegt. Konkret liegen hier die Änderungen für Fahrleistung, Kraftstoffverbrauch und Emissionen im Promillebereich. Die Fahrzeiten werden um 1,69% verringert, entsprechend 0,24 Mio KFZ-h/a. Dagegen steigt die Trennwirkung um 8,13 %, was 8,56 Mio h/a bedeutet (Daten aus PRINS).
Diese NNKV basiert auf einer Verkehrsstärke von 14.340 KFZ aus den sehr groben Berechnungen des BVWP. Hier aber ergeben die konkreten lokalen Daten aus den Unterlagen der Planfeststellung 8.400 KFZ.! Das wäre von nachrangiger Bedeutung, wenn nicht nach Auskunft aus dem BMVBW die einheitliche Bewertung aus dem BVWP „in der Regel“ niedrigere (!) Ergebnisse bringt als die lokalen Ermittlungen. Da die einzelnen Komponenten des Projektnutzens weitgehend proportional zur Verkehrsstärke sind, wird hier eine Korrektur nach dem Verhältnis der beiden Verkehrsstärken vorgenommen. So korrigiert bleibt ein NKV von 1,4. Die Forderungen Immenstadts (s.u.) würden es in den Bereich von 1,0 drücken. Das macht eine andere Einreihung des Projekts zwingend.
Raumwirksamkeitsanalyse
Ihr entnehmen wir, dass innerstädtisch mittelhohe Handlungspotentiale bestehen. Durch „mittlere bis hohe verbleibende tägliche Verkehrsmengen“ wird nur eine „mittlere bis moderate Aktivierung“ erreicht. Daher erhält das Projekt nur 2 von 5 möglichen Punkten, was in der abschließenden Gewichtung der Raumordnungspunkte 5 von 15 möglichen ergibt. Entsprechend ist auch in den Unterlagen zur Planfeststellung die Entlastung auf dem Straßennetz Immenstadts marginal : in Summe von 105 000 auf 84 000 bzw.77 000 Fahrzeuge (verschiedene Angaben im Erläuterungsbericht, Summe von 8 bzw. 9 - vom Straßenbauamt ausgewählten - Straßen)
Umweltrisikoeinschätzung
Die Nordtrasse ist eindeutig ein ökologisch problematisches Projekt. Das Früherkennungssystem hat das nicht erkannt. Eine Umweltrisikoeinschätzung liegt nicht vor. Wissend oder nichtwissend wurden die vorliegenden Befunde der UVS vom 4.7.1997 (!) nicht berücksichtigt. Das Umweltrisiko ist hierin charakterisiert durch sehr hohes Risiko für Wasser, Boden, Tiere, Pflanzen und Mensch (Erholung) sowie hohes Risiko für Mensch (Wohnen). Besonders augenfällig ist die Umweltproblematik bei der Talquerung, die auf 400 Meter in ein Gebiet mehrfach jährlicher Überschwemmung durchtrenntt. Nur ein Zehntel der Strecke verläuft annähernd in Gleichlage, ein Viertel im Tunnel, alles andere auf Dämmen, in Einschnitten oder der Hochwasserwanne. In den Biotopkomplexen im Tal stellt die UVS 16 Pflanzen- und 25 Tierarten der Roten Liste fest, in den BK am Kalvarienberg 26 bzw. 11 RL-Arten. Irreversible Störung sieht die UVS bei Boden im Biotop des Verlandungsbereichs, für die Funktion des Rastbiotops von überregionaler Bedeutung am Kleinen Alpsee und für die Zerstörung der Landschaft.
Finanzierbarkeit
44 Mio € sollen ausgegeben werden. Es muss dabei aber klar sein, dass
in Immenstadt während der laufenden Planung für die Ortsumgehung über 46 Mio DM weitgehend aus Bundesmitteln für dieselbe Verkehrsbeziehung investiert wurden,
alleine in Bayern 140 Projekte mit gleichem oder z.T wesentlich besserem KNV nicht in den VB kamen,
von 44 Mio € anderenorts mehrere Ortsumgehungen gebaut werden können
der immenstädter Stadtrat seine Zustimmung zur Nordtrasse zwingend von Bedingungen abhängig gemacht hat, die das Projekt in uns unbekannter, aber wohl 2-stelliger Millonenhöhe verteuern werden: Verlängerung des Kalvarienbergtunnels zum Erhalt einer Bebauungsoption der Stadtplanung und die Unterquerung der Konstanzer Ach, was praktisch eine Führung der gesamten Talquerung im Tunnel bedeutet,
dass Immenstadt laut Stadtratsbeschluss die Kosten dafür nicht übernehmen wird und dass
Immenstadt die Chance der weit kostengünstigeren und effektiveren Rudelstorfertrasse nicht genützt hat. Der Stadtrat hat sie nie behandelt. Dennoch ging an mit der Planung befasste Behörden die Nachricht, Immenstadt habe sie abgelehnt.
Die „Rudelstorfertrasse“ wurde 1991 mit 41 Mio DM kalkuliert. 11 Mio davon waren einsparbar, weil damals schon der Neubau der Bahnbrücke über die B308 alt beschlossen war. Bei - durchaus möglicher - Verlegung nach Westen wäre das genau die Brücke gewesen, die für die Rudelstorfertrasse erforderlich war. Auf Betreiben der Stadt wurde sie jedoch nach Osten verlegt.
Ein zweiter Tunnel, nämlich der durch Bühl, ist bei der Nordtrasse aus geografischen Gründen erforderlich, weil nach der Unterführung der Bahn die Anhöhe von Bühl nicht mit vertretbarer Steigung erreicht werden kann. Die Rudelstorfertrasse und die Stadtnahe Trasse können hier auf der alten Linie verbleiben, brauchen also keinen Tunnel. Nach Aussage des Strassenbauamts wurde dieser Tunnel bei der Stadtnahen Trasse nur wegen der „Vergleichbarkeit“ eingebaut, also um die Kosten gleichzuziehen.
Insbesondere aus den Gesichtspunkten Finanzierbarkeit und Umweltrisikoeinschätzung ergeben sich zwei denkbare Konsequenzen:
Durchführung der Einzelfallprüfung der URE mit dem umfassenden Planungsauftrag mit der Untersuchung, inwiefern „die bisherigen Planungen oder aber Alternativplanungen, vor allem der Ausbau des vorhandenen Straßennetzes verwirklicht werden können.“(Beschluss der Bundesregierung zum BVWP) Darüber hätte das BMVBW so rechtzeitig berichten müssen, dass das Ergebnis bei Einstellung des Projektes in den BVWP vorliegt.
Streichung des Projekts aus dem VB. Der Bund Naturschutz, auch als Grundbesitzer betroffen, hat frühzeitig für den Fall der Nordtrasse angkündigt, den grundsätzlichen Konsens zu einer Ortsumgehung zu verlassen. Die Verbandsspitze hat einer eventuell erforderlichen Klage gegen die Nordtrasse zugestimmt.
Die Fülle der Argumente ist auf zwei Seiten nicht unterzubringen. Deswegen haben wir sie hier zusammengestellt.
Wir sind gerne zu weiteren Auskünften bereit und werden versuchen, Sie telefonisch anzusprechen.
Mit den besten Grüßen
Björn Reichelt, KG, Dr. Rolf Grebenstein, OG
Nachrichtlich:
Bundesrechnungshof